Idee der eigenen Erkenntnis
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VGH Baden-Württemberg formuliert diskriminierenden Leitsatz zur Quarantänepflicht

Frank Siebert
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Am 09.04.2021 formulierte das VGH Baden-Württemberg folgenden Leitsatz:

§ 1 CoronaVO EQ (i.d.F. der 2. ÄndVO v. 29. März 2021) ist hinsichtlich der Regelung über die Absonderung von Ein- und Rückreisenden aus einem Risikogebiet, jedenfalls soweit es sich nicht um ein sog. Virusvariantengebiet handelt, voraussichtlich verfassungswidrig, soweit die Vorschrift Personen erfasst, die mit einem der derzeit zugelassenen COVID-19-mRNA-Impfstoffe (Comirnaty von BioNTech/Pfizer sowie COVID-19 Vaccine Moderna) oder mit dem Vektor-basierten Impfstoff Vaxzervia von AstraZeneca zweimal geimpft wurden und bei denen seit der Gabe der zweiten Impfdosis 14 Tage vergangen sind. 1

Einer der Antragsteller war Rechtsanwalt und geimpft. Unter Punkt 8 des Beschlusses steht:

Der Antragsteller zu 1, ein Rechtsanwalt, wurde am 25.02.2021 zum ersten Mal und am 25.03.2021 zum zweiten Mal mit dem mRNA-Impfstoff „Moderna“ gegen COVID19/SARSCoV-2 geimpft. Er trägt unter Verweis auf ein Attest des HNO-Facharztes Dr. W. vom 30.03.2021 vor, dieser habe ihm wegen massiver, rezidivierender, eitrig sinubronchialer Infekte, die sich trotz einer antibiotischen Behandlung nur geringfügig gebessert hätten, einen Aufenthalt in einem Reizklima wie z.B. auf den Kanaren empfohlen.

Punkt 10:

Der Antragsteller zu 1 hat zunächst ergänzend vorgetragen, in seinem Fall sei das Verlangen nach einer Quarantäne umso verfehlter, als er inzwischen zweimal geimpft worden sei. Die Schutzimpfungen entfalteten auch nach Auffassung des Robert-Koch-Instituts (RKI) eine hohe Wirksamkeit. Im Zeitpunkt der Wiedereinreise am 10.04.2021 würden seit der zweiten Impfung mehr als 14 Tage vergangen sein und sei er (der Antragsteller zu 1) nicht mehr ansteckend. Die geringe rechnerische Wahrscheinlichkeit (für eine Infizierung Dritter), die unterhalb des Promillebereichs liege, rechtfertige den schweren Eingriff, der in einer Quarantänepflicht liege, nicht.

In Punkt 12:

[...] Es gebe zwar eine Studie der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC, die ein geringes Infektionsrisiko bei mRNA-Impfstoffen bestätige. In der Studie sei aber nur untersucht worden, wie wirksam die Stoffe gegen einen Ausbruch der Krankheit COVID-19 seien, nicht dagegen die Infektionsrate mit dem Virus. Das decke sich auch mit den aktuellen Einschätzungen des RKI. Dieses habe zum Stand 25.03.2021 ausgeführt, es sei noch nicht bekannt, ob die Impfung auch vor einer Besiedelung mit dem Erreger SARS-CoV-2 bzw. vor einer Übertragung des Erregers auf andere Personen schütze. Das RKI habe es deshalb als notwendig bezeichnet, sich und seine Umgebung weiterhin zu schützen, in dem die „AHA+A+L“-Regeln beachtet würden. [...]

Punkt 13 und 14:

Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 07.04.2021 auf das Schreiben des Präsidenten des RKI vom 31.03.2021 an das Bundesministerium für Gesundheit hingewiesen und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Der Antragsgegner hat hierauf mitgeteilt, ihm sei das Schreiben bekannt, dem Antragsteller zu 1 eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 2 Abs. 5 CoronaVO EQ erteilt und ihm mitgeteilt, er müsse sich nach der für den 10.04.2021 geplanten Rückreise nicht absondern. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit daraufhin in Bezug auf den Antragsteller zu 1 übereinstimmend für erledigt erklärt.

Dem Rechtsanwalt wurde also gemäß § 2 Abs. 5 CoronaVO EQ eine Ausnahmegenehmigung erteilt sich, nicht in Quarantäne zu begeben. Was steht in diesem Absatz?

(5) In begründeten Fällen kann die zuständige Behörde auf Antrag weitere Ausnahmen bei Vorliegen eines triftigen Grundes erteilen. 2

Ich bin jetzt kein Rechtsexperte, aber dieser Absatz der Verordnung zeigt keine Anzeichen irgend einer Bestimmtheit. Die weiteren Angaben in dem Beschluss des VGH geben keinerlei Aufschluss über die Art des "triftigen Grundes". Ich freue mich für den Rechtsanwalt, dass ihm die sinn- und zwecklose Quarantäne erspart bleibt. Eine Ausnahmegenehmigung gemäß eines solchen Absatzes, der $2 CoronaVO EQ zu einem Gummiparagraphen macht, kann aber doch wohl nicht der Weisen letzter Schluss sein.

Bezogen auf die beiden anderen Antragstellerinnen befindet das Gericht in Punkt 29:

Der gegen § 1 CoronaVO gerichtete Normenkontrollantrag hätte in dem als objektives Beanstandungsverfahren ausgestalteten Hauptsacheverfahren (vgl. § 47 Abs. 1 und 5 VwGO) voraussichtlich teilweise Erfolg. [... Hier folgt der Leitsatz ...] Im Übrigen sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens offen (a). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung zugunsten der noch nicht geimpften Antragstellerinnen zu 2 und 3 ist aber nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten (b).

Und in Punkt 30:

a) Ein Normenkontrollantrag in der Hauptsache hätte voraussichtlich teilweise Erfolg, soweit § 1 CoronaVO EQ geimpfte Personen erfasst. Im Übrigen sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen.

Diesen Punkt finde ich sehr interessant. Der verhandelte Antrag ist nirgends in dem Dokument wörtlich zitiert, lediglich hier aus dem Punkt 30 lässt sich die Vermutung ableiten, dass der Normenkontollantrag der beiden Antragsstellerinnen in der Hauptsache nicht nur auf geimpfte Personen abzielt, sondern auch auf ungeimpfte Personen. Diese Ableitung kann natürlich völlig falsch sein. Aber für mich liest es sich, als unterscheide das Gericht hier zwischen einem voraussichtlich möglichen Erfolg für geimpfte Personen und einem ansonsten (also für ungeimpfte) offenen Ausgang.

Im Grunde hätte sich das Gericht zu einer solchen Unterscheidung gar nicht äußern müssen, denn genau betrachtet besteht ja kein Unterschied. "Hätte voraussichtlich teilweise Erfolg" beschreibt einen ebenso offenen Ausgang wie "Im Übrigen sind die Erfolgsaussichten offen". Ein wenig klingt es daher so, als wäre es dem Gericht ein Anliegen gewesen auf die Möglichkeit einer Besserstellung geimpfter Personen explizit hin zu weisen.

Die Unterscheidung zwischen geimpft und nicht geimpft zieht sich in der Folge weiter durch das Dokument, bis man irgend wann heraus findet, dass die Antragstellerinnen nicht geimpft sind. Und plötzlich beginnt die Unterscheidung Sinn zu machen, denn nachdem der geimpfte Antragsteller eine Ausnahmegenehmigung erhalten hat, kann das Gericht den Antrag auf einstweilige Verfügung mit dem Hinweis ablehnen, die Erfolgsaussichten seien für die ungeimpften Antragstellerinnen Aufgrund ihres Impfstatus sowieso gering, weshalb für diese durch die Ablehnung keine Nachteile entstehen, welche eine einstweilige Verfügung rechtfertigen könnten.

Die Ausnahmegenehmigung erlaubte es dem Gericht, mögliche Ungleichbehandlung Aufgrund des Impfstatus im Hauptsacheverfahren zu postulieren und in die Bewertung einfließen zu lassen, ohne eine Ungleichbehandlung durchführen zu müssen.

Meinung

Das Gericht hat sich in etwas verschlungener Argumentation aus der Affäre ziehen können, ohne gegen den eigenen Arbeitgeber zu entscheiden und ohne einen Beschluß mit klarer Ungleichbehandlung geimpfter und ungeimpfter Antragsteller zu fällen. Es hat dennoch argumentativ dieser Ungleichbehandlung Vorschub geleistet, obwohl aus dem Text des Beschlusses hervorgeht: das Gericht weiß, dass auch geimpfte an SARS-CoV-2 erkranken können (Punkt 86), bzw. in den Worten des Gerichts dass auch Geimpfte in Einzelfällen zur Neuansteckungen beitragen.

Das geht übrigens auch aus den Studienergebnissen zu den Impfstoffen hervor. Die BioNTech Studie behauptet für sich, nach der Impfung verlaufe die Krankheit weniger schwer. Eine schwer beweisbare Behauptung bei über 80% fast oder komplett symptomfreier Verläufe ohne Impfung und bei Ausschluss der Personengruppen, bei denen schwere Verläufe erwartet werden konnten. Auf jeden Fall stellt diese Behauptung klar, dass die Impfung nicht 100%ig [vielleicht auch gar nicht] vor der Krankheit schützt und daher auch nicht vor der Verbreitung schützen kann.

Mit Blick auf die von mir bereits oft zitierte Formulierung des Artikels 3 Absatz 2 (a) der Charta der Europäischen Union ist dieser Hinweis des Gerichts natürlich äußerst bedenklich, da dies eine Diskriminierung ungeimpfter, gesunder und genauso wenig ansteckender Personen darstellt und so die Freiheit der Einwilligung zur Impfung einschränkt.

Nicht, dass ich geimpften Personen nicht gönnen würde, die Quarantäne vermeiden zu können, aber ich gönne dies allen gesunden Menschen gleichermaßen. Es geht in dieser Sache kein Weg daran vorbei, dass ein Arzt die Diagnose erstellt und nur bei einem tatsächlich diagnostizierbaren Krankheitsfall eine Quarantäne verordnet, falls er dies für notwendig erachtet. Sogar mit erkennbaren Symptomen muss die betroffene Person einer Diagnose zuerst zustimmen. Wenn die betroffene, symptomatische Person sowieso nach Hause will, um sich dort erst einmal auszukurieren, dann ist das Erzwingen einer Diagnose auch bei erkennbaren Symptomen dem Infektionsschutz nicht weiter förderlich.

War ich nicht die ganzen Jahre immer selbst in der Lage mich nach Hause zu begeben und mich mit Suppe und Bettdecke auszukurieren, wenn ich erste Symptome bemerkte? Wozu, verdammt noch mal, werden hier anlasslose Quarantänen per Verordnung durchgesetzt?

Hat das Gericht noch nicht mitbekommen, dass der EINE Fall einer symptomfreien Übertragung, auf den sich das RKI beruft, in Wirklichkeit ein symptomatischer Fall war?

Und was bedeutet dies im Rückschluss zur Verhältnismäßigkeit von Test-Pflicht, Maskenpflicht und (zu erwartender) Impfpflicht, Quarantänepflicht, sowie von Geschäftsschließungen und nächtlichen Ausgangssperren? Die letzteren sind sowieso dermaßen Hirnrissig, dass sie in der Auflistung fast deplaziert wirken. Auf der anderen Seite steht jede dieser Maßnahmen keiner anderen dieser Maßnahmen an Hirnrissigkeit in irgend etwas nach.

Oh, ich vergaß, ich sollte Lächeln 3 .

Fußnoten


  1. VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 9.4.2021, 1 S 1108/21 , VGH Baden-Württemberg, 2021-04-09
  2. Corona-Verordnung Einreise-Quarantäne , baden-wuerttemberg.de, archive.org Snapshot, 2021-03-31
  3. Bitte Lächeln ; Frank Siebert; idee.frank-siebert.de; 2021-04-18

Kategorie:Pfizer Kategorie:Robert-Koch-Institut