Idee der eigenen Erkenntnis
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Aufs Wort Geschaut: Werte

Frank Siebert
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Ich habe bewusst im Titel die Mehrzahl verwendet, damit sich der Bezug zu den sogenannten westlichen Werten von selbst aufdrängt. Wie bei allen anderen Texten der Serie "Aufs Wort Geschaut" geht es auch hier nur darum, die eigene Sprache im Kontext der Sprachentwicklung besser zu verstehen.

Der im englischen Wiktionary skizzierte Herkunftspfad für das Wort "Wert" 1 geht über das althochdeutsche "werd". Dies legt nahe, dass Werten ein Potential innewohnt etwas werden zu lassen, ein Wert also eine gestalterische Kraft entwickeln oder zumindest anstoßen kann.

So naheliegend dieser Schluss ist, verwirrt es dennoch, dass die Worte "Werden" und "Wert" so direkt zusammen hängen sollen. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass die Sprachwissenschaftler dem einen oder anderen Irrtum aufsitzen können.

Danach führen uns die Sprachwissenschaftler zu dem proto-germanischen "werþaz" 2 , welches wieder die schlichte Bedeutung "Wert" hat. Demnach würde sich unser Wort "Werden" von dem Begriff "Wert" ableiten und nicht umgekehrt.

Dies wiederum wird auf eine mögliche Herkunft von einer proto-indo-europäischen Vorsilbe "*wert-" 3 zurück geführt, welche auf etwas Rotierendes, etwas Kreisendes, sagen wir "auf etwas Umlaufendes" Anwendung findet.

Man könnte sagen, dass Werte ihrer Herkunft nach dadurch gekennzeichnet sind, dass sie zum Tausch geeignet sind und durch den Tausch in der Welt, im "Zeitalter des Menschen" 4 , kursieren. Letzteres Wort hört sich spannend an, ich sollte es vielleicht gleich einmal nachschlagen.

Werte dienen also dem Tausch, sie sind tauschbar, und sie können Kraft ihrer Tauschbarkeit auch Etwas werden lassen.

Letzteres ist leicht erkennbar daran, dass auch Arbeitskraft ein Wert ist, die gegen Nahrung, Unterkunft oder auch schlicht für Geld ertauscht werden kann, um mit dieser Arbeitskraft etwas "werden" zu lassen, sprich, etwas erarbeiten zu lassen.

Ob sich auch unsere sogenannten westlichen Werte tauschen lassen, und ob dies in anderem Sinne eventuell bereits mehrfach geschehen ist, und ob hierdurch etwas Neues, vielleicht sogar etwas Gutes, entstand, sind Fragen, über welche ein Jeder für sich nachdenken kann. Offenbar handelt es sich ja bei den westlichen Werten um einen Exportschlager, sind wir doch alle mit Aussagen aufgewachsen, dass der "Westen" die westlichen "Werte" den nicht-"westlichen" Ländern bringen müsse, was meistens mit einem Waffengang verbunden war. Interessanter Weise wollen wir diese Werte aber gleichzeitig für uns behalten, weshalb andere Waffengänge dazu dienten, unsere westlichen "Werte" zu verteidigen. Die Frage muss daher wohl gestellt werden, ob unsere westlichen "Werte" denn überhaupt zum Tausch geeignet sind, ob sie also Werte im Sinne des Wortes darstellen.

Sicherlich können wir uns darauf einigen, dass die westlichen "Werte" im Grunde eine Sammlung von Ideen darstellen. An anderer Stelle habe ich herausgearbeitet, dass Ideen sich nicht wirklich "ausbreiten" und auch nicht im klassischen Sinne zwischen Menschen "ausgetauscht" werden, sondern dass sie sich eher "fortpflanzen", wobei hierbei im Grunde in jedem einzelnen Menschen eine etwas andere Idee entsteht oder sich gleich mehrere andere Ideen daraus entwickeln 5 .

Die Vorstellung, einer Idee könne ein Wert im Sinne eines Tauschobjektes zugeordnet werden, ist denn auch eine erst etwas mehr als hundert Jahre alte im Grunde widersinnige. Trotz aller Anstrengungen ist es daher bis Heute nicht gelungen, Ideen als Eigentum zu schützen, auch wenn dies umgangssprachlich als "geistiges Eigentum" bezeichnet wird. Es ist lediglich im 20. Jahrhundert gelungen, Nutzungsrechte auf Ideen juristisch zu schützen, so dass diese Nutzungsrechte dann tatsächlich wie Tauschobjekte verwendet werden können, während vorher nur die konkrete Ausgestaltung einer Idee als Werk durch das nicht übertragbare Urheberrecht geschützt und mit übertragbaren, also tauschbaren, Verwertungsrechten verbunden war.

Im Klartext handelt es sich bei Verwertungsrechten auf Ideen um eine Enteignung all jener, welche die gleiche Idee haben. Und so sehr diese Idee der durch Verwertungsrecht geschützten auch gleichen mag, es kann nie die selbe Idee sein, denn die gleiche Idee in zwei verschiedenen Menschen kann nie die selbe sein.

Im Rückschluss wären unsere westlichen "Werte", da es sich im Grunde um Ideen handelt, auch Heute nicht an sich schützbar, sondern allenfalls die Verwertungsrechte an diesen Ideen. Allerdings sind diese Ideen älter als die Möglichkeit Ideen schützen zu lassen, so dass die Anmeldung eines Verwertungsrechtes auf diese Ideen wohl ausgeschlossen ist.

So komme ich zu dem Ergebnis, dass unsere westlichen "Werte" als Tauschobjekte wohl wertlos sind, und es sich daher bei der Benennung "Wert" wohl um einen Fehler handeln muss. Als Idee können sie auch keinem Anderen "gebracht" werden, sondern können sich allenfalls in einem Anderen fortpflanzen, wobei sie zwangsweise ein leicht oder auch stark unterschiedliches Wesen annehmen. Und da sie ihrem Wesen als Idee nach in jedem Einzelnen nicht das Selbe sind, sondern sich notwendigerweise unterscheiden, können sie auch nicht geschützt werden.

Wenn Ideen selbst aber kein Wert zukommt, was treibt uns denn dazu an, immer neue Ideen zu entwickeln? Wie Werten, so ist auch Ideen die Kraft zu inne, etwas Neues "werden" zu lassen. Jedem Werk liegt eine Idee zugrunde, und niemand würde wohl daran Zweifeln wollen, dass einem Werk, so es gut geraten, ein Wert gegeben ist.

So liegt der Wert unserer westlichen "Werte" wohl weniger in diesen sogenannten Werten selbst, sondern in den Werken, welche wir aus diesen Ideen machen. Alleine unser Tun entscheidet darüber, ob es sich um westliche "Werte" oder westliche "Unwerte" handelt, oder nennen wir es westliche "Schulden". Waffengänge zum Schutz oder zur Verbreitung unserer sogenannten westlichen "Werte" machen diese zu "Schulden", mit denen wir uns belasten, denn dass Krieg mit Tod und Schuld einhergeht, sollte jedem klar sein. Daran sollten wir denken, wenn der nächste Politiker die Floskel von der Verteidigung unserer westlichen "Werte" bemüht, müsste er diese Ideen ja nur selbst verinnerlichen, um sie, in durch den Prozess notwendig leicht veränderter Form, zu bewahren.

Weshalb habe ich das Wort "Wert" nachgeschlagen? Nachdem ich festgestellt hatte, dass in dem Wort "Welt" das germanische "Wer" für Mensch enthalten ist, hat mich interessiert, ob die Sprachforscher den Begriff "Wert" ebenfalls mit dem "Wer", dem Menschen, in Verbindung bringen. Offenbar ist dies nicht der Fall.

Die Rekonstruktion der Herkunft von Wörtern ist allerdings ganz klar keine exakte Wissenschaft. So sind die Ergebnisse dieser Forschungen mit der entsprechenden Vorsicht zu genießen. Es ist nicht mehr als eine weitere Perspektive auf unsere heutige Sprache. Diese weitere Perspektive verbessert unser Verständnis, und darum geht es.


Erkenntnisse haben meistens vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.

Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.

Fußnoten


  1. Wert - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  2. Reconstruction:Proto-Germanic-werþaz - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  3. Reconstruction:Proto-Indo-European-wert- - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  4. Aufs Wort Geschaut: Naturschutz versus Umweltschutz ; Frank Siebert; Idee; 2022-12-05
  5. Verstehen ; Frank Siebert; Idee; 2022-11-20