Aufs Wort Geschaut: Souverän
Ist der Souverän noch souverän? Woher kommt dieses Wort, das sowohl als Nomen als auch als Verb Verwendung findet? Was bedeutet es laut seiner Herkunft? Wie weit ist seine heutige Verwendung von dessen Bedeutung entfernt?
Ein Blick in das englische Wiktionary verrät, dass wir das Verb "souverän" im 17. Jahrhundert dem Französischen entlehnt haben 1 . Woher die Franzosen das Wort übernahmen ist nicht zweifelsfrei klar, im Wiktionary wird spekuliert, es könne von dem rekonstruierten vulgär-lateinischen Begriff "superanus" abstammen, zusammengesetzt aus "super" 2 , was soviel wie "über" oder "obenauf" bedeutet, und der Endung "-ānus", welche üblicherweise eine Herkunft, eine Position oder einen Besitz andeutet.
Folgt man dieser Herkunftsangabe, dann bedeutet Souverän in etwa "von oben stammend", also von hoher Geburt sein. Natürlich denken wir bei der Endung "-ānus" automatisch an den Anus, ein Begriff, den wir Deutsche ebenfalls aus dem lateinischen übernommen haben 3 , wo es nicht nur auf den ringförmigen Schließmuskel, sondern auch auf Ringe ganz allgemein Anwendung fand.
Widerstehen wir der Versuchung, das rekonstruierte vulgär-lateinische Wort "superanus" daraufhin mit "Oberarschloch" zu übersetzen, können wir von Ringen auf Kreise schließen, die auch im sozialen Kontext existieren, so dass wir über diesen Weg ebenfalls bei der Bedeutung "aus höchstem Kreise" landen würden. Diese Herleitung habe ich mir aber selbst ausgedacht und beruht auf einer Rekonstruktion, die sich irgend ein Sprachwissenschaftler ausgedacht hat.
Da der vulgär-lateinische Begriff rein hypothetisch ist, können wir auch alternative Ideen zur Herkunft diskutieren. Und rein zufällig habe ich da eine.
Beim altfranzösischen Wort "soverain" 4 liegt die Idee nicht fern, dass die Endung "-rain" eine verkürzte Form des Wortes "rainer" 5 ist, welches eine alternative Form des Wortes "reignier" 6 mit der Bedeutung "regieren" ist.
Akzeptieren wir die Herkunft von "sover-" von lateinisch "super", dann wäre der Souverän übersetzt ein "Oberregent" oder auch "Höchster Regent", was durchaus geeignet gewesen sein könnte, sogar dem Sonnenkönig zu schmeicheln, und "souverän sein" wäre "von oben regieren". Letztlich sind wir also wohl auch auf diesem Weg bei einem "Oberarschloch" angelangt, das auf die gemeinen Menschen von oben herabschaut. Es bleibt ein Wort mit üblem Beigeschmack.
Was bedeutet dieses Wort dann in der heute so beliebten Rede vom "souveränen Staat"? Konnte der Sonnenkönig noch leichten Sinnes sagen "L'État, c'est moi" und so recht leicht das offensichtliche Problem beiseite schieben, dass ein "souveräner Staat" in seiner Wortbedeutung enthält, ist dies Heute bei Staaten, die den Anspruch erheben demokratisch zu sein, nicht mehr so leicht.
Ich nehme an, Sie haben das Problem bereits erkannt. Der Staat, das ist die Staatsbürgerschaft, also die Bürger, die den Staat bilden 7 . Und wenn dieser Staat demokratisch ist, dann gibt es in diesem kein "Oben" und "Unten", und damit auch per Definition keinen Souverän, niemanden, der "von oben regiert". Noch schwieriger ist es, der gesamten Staatsbürgerschaft Souveränität anzudichten, denn es können schlechterdings nicht alle "oben" sein. Die einzige sinnvolle Interpretation wäre, dass die Staatsbürgerschaft gemeinsam über mindestens einen anderen Staat regiert, dieser Staat seine Souveränität also aus der Unterdrückung anderer Staaten bezieht.
Nun, das Problem ist etwas abgemildert, wenn wir den heutigen Gebrauch des Wortes anschauen. Jemand gilt als souverän, wenn er selbstbewusst und vor allem selbstbestimmt Auftritt und Geschicklichkeit bei Problemlösungen zeigt.
Geschicklichkeit können wir nicht unbedingt von jedem Staatsbürger verlangen, und sicher hängt diese stark von individuellen Stärken und Schwächen im jeweilig anstehenden Thema ab.
Geht es um den souveränen Staat, dann ist das Kriterium der Selbstbestimmtheit sicherlich das Wichtigste, das zu nennen ist. Entlehnt aus dem altfranzösischen müsste dies allerdings mesmerän lauten, von altfranzösisch "mesme" 8 , "selbst". Aber das vergessen wir gleich wieder, niemand würde uns verstehen, wenn wir jetzt damit anfingen dieses Wort zu verwenden.
Je selbstbestimmter die Staatsbürgerschaft, also jeder einzelne Staatsbürger, desto souveräner der Staat.
Im Umkehrschluss ist der Staat um so souveräner, je weniger Regeln den Staatsbürgern im Namen der Gemeinschaft auferlegt werden, die ihm die freie Entscheidung nehmen.
In Deutschland hat sich übrigens die Anzahl der Seiten mit Bundesgesetzgebung seit dem Jahr 2010 um etwa 60% erhöht 9 .
Aber im allgemeinen Sprachgebrauch werden ja gerne fälschlicherweise die Staatsorgane mit "dem Staat" gleich gesetzt. Und trotz angeblicher Demokratie sprechen Bürger noch immer "von denen da oben", die es nach meinem Demokratie- und auch Selbstverständnis natürlich nicht gibt. In dieser Weltsicht des allgemeinen Sprachgebrauchs kann man den souveränen Staat durchaus nach der vermuteten ursprünglichen Herkunft mit "von oben kommend" übersetzen, denn in dieser Weltsicht kommt das Elend von oben auf die einfachen Leute herab.
Diese Sicht zeigt aber eine wenig nützliche Opferhaltung. Deutlich konstruktiver ist da doch die Sicht, dass der Staat seine Souveränität nur aus der Souveränität der einzelnen Staatsbürger bezieht. In dieser Sicht begegnen sich Staatsbürger auf Augenhöhe und gestalten gemeinsam die Gemeinschaft, die Staatsbürgerschaft, die wir auch Staat nennen.
In diesen verschiedenen Sichten zeigt sich der Unterschied zwischen dem Untertan und dem Staatsbürger. Wenn Sie auf "die da oben" verweisen, ordnen Sie sich selbst als Untertan unter. Wenn Sie stattdessen auf unsere Staatsdiener verweisen, die privat wie alle anderen Menschen auf Augenhöhe, im Amt aber dienend sind, dann haben Sie den ersten Schritt zum Staatsbürger geschafft.
Als Staatsbürger sind Sie aufgefordert, Aussagen unserer Staatsdiener kritisch zu betrachten und notfalls laut und hoffentlich konstruktiv Fehlentwicklungen entgegen zu steuern.
Als Staatsbürger erkennen Sie ihre Selbstbestimmtheit nicht nur an, sondern begreifen diese als wesentlich für die Selbstbestimmtheit des Staates. Schließlich bilden wir Staatsbürger den Staat, und es gibt eine unendliche Vielzahl von Varianten, wie sich dies gestalten lässt.
Darum werden Sie als Staatsbürger auch einen Teil ihrer wertvollen Zeit darauf verwenden, eine eigene Idee dazu zu entwickeln, wie wir als Gemeinschaft unser Zusammenleben am Besten regeln sollten. Schließlich leben Sie in dieser Gemeinschaft und haben daher ein begründetes Interesse daran, mit ihren Mitbürgern zusammen ein lebenswertes Umfeld zu schaffen.
Und weil Sie als selbstbestimmter Staatsbürger sensibel auf Versuche reagieren, Ihnen Entscheidungsfreiheit zu nehmen, werden Sie eine möglichst große Entscheidungsfreiheit in allen Dingen auch Ihren Mitbürgern zugestehen wollen. Oder steckt in Ihnen vielleicht ein kleiner unterdrückter Tyrann, der darauf wartet heraus kommen zu dürfen?
Wir sollten es keinesfalls unseren Staatsdienern überlassen, die allgemeine Richtung vorzugeben, sonst glauben diese am Ende gar, sie seien unsere Herren. Und wenn wir gar beginnen, zu ihnen aufzuschauen, uns also wie Untertanen benehmen, dann haben wir unsere Staatsdiener tatsächlich zu unseren Herren gemacht.
Sie sehen: Letztlich ist Ihr Selbstverständnis mit entscheidend dafür, welchen Staat wir morgen haben werden. Alles hängt von Ihnen ab, wenn auch, zugegeben, nicht nur von Ihnen. Sprechen Sie andere an, wenn diese einmal mehr die Phrase "die da oben" ins Feld führen. Lassen Sie diese nicht so im Raum stehen, denn sie ist falsch, destruktiv und unterwürfig.
Erkenntnisse haben meistens vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.
Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.