Idee der eigenen Erkenntnis
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Aufs Wort Geschaut: Kraft und Kratos

Frank Siebert
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Wer die Macht hat die Sprache zu ändern, hat Macht über die Gedanken anderer. Nur ändert sich die Sprache ständig und es ist nicht immer klar, ob dahinter eine Absicht steckt, wie in dem Buch 1984, oder ob es einfach so passiert. Heute schaue ich mit Ihnen auf den Begriff "Kraft" und die griechische Wortendung "-kratie"

Haben das griechische "Kratos" und das deutsche "Kraft" die gleiche Herkunft, oder stammt das deutsche "Kraft" von dem griechischen "Kratos" gar ab, oder ist die Ähnlichkeit ein Zufall?

Ich habe diese Frage in der Diskussion zu dem Wort Kraft im deutschen Wiktionary gestellt. Die Seite ist wenig frequentiert und mit einer Antwort ist daher nicht zu rechnen. Auf jeden Fall finde ich die Ähnlichkeiten hoch interessant, und da das griechische und das germanische ja doch zur gleichen Sprachfamilie gehören, würde ich einen Zufall für sehr erstaunlich halten.

Immerhin ist im englischen Wiktionary die Herkuft der griechischen Endung "-kratie" bis zum proto-indo-europäischen "*kret" 4 rekonstruiert worden, was auch nicht wirklich weit von dem Wort "Kraft" entfernt ist.

Aber natürlich dürfen wir nicht vergessen, dass spätestens ab dem Punkt, an dem längst tote Sprachen von Sprachwissenschaftlern rekonstruiert werden, wir den Bereich der exakten Wissenschaften hinter uns gelassen haben. Darum gibt es vermutlich auch einfach niemanden, der meine Frage hierzu beantworten kann.

Im deutschen Wiktionary wird der Begriff "Kraft" zur Zeit über das rekonstruierte proto-indo-europäische "*grep-", für "Haken" bzw. "Kraft" auf die rekonstruierte proto-indo-europäische Wortwurzel "*ger-" 5 zurückgeführt, mit der Bedeutung "sich zusammenziehen", "winden", was auf das Zusammenziehen der Muskeln verweisen soll, wenn man den Arm beugt um Kraft einzusetzen.

Das würde die Germanen wahlweise zu den "kräftigen Mannen" oder den "sich windenden Mannen" machen, was ich auf jeden Fall eine lustige Idee fände. Natürlich ließe es sich, mit dem Rückgriff auf das "sich zusammenziehen", auch als "vereinte Mannen" interpretieren, und dies würde schon fast wieder Sinn machen, denn vereinte Mannen sind auch kräftige Mannen, haben wir doch alle irgendwann gehört und gelernt: "Gemeinsam sind wir stark".

Es findet sich aber auch der Hinweis, das "Ger" 6 ein germanischer Wurfspieß ist und daher den Germanen, den Wurfspieß-Mannen, genauso gut als Namensgeber gedient haben kann. Tatsächlich stellt das englische Wiktionary den Wurfspieß als eine von drei möglichen Namensgebern für die Germanen dar 7 . Eine Herleitung von der rekonstruierten indo-europäischen Vorsilbe "*ger-" listen die Sprachforscher nicht als Möglichkeit auf.

Das ist ja nun alles ganz lustig und kurzweilig, aber was lässt sich daraus lernen?

Vielleicht stammt das Wort "Kraft" vom indo-europäischen "*ger-" ab und hat seine Bedeutung irgendwie über das "sich zusammenziehen" der Muskel bekommen. Da muss ich mir aber die Frage stellen, welche wilden Lautverschiebungen wohl statt finden mussten, um das Wort Kraft daraus hervorzubringen. Der vorgeschlagene Übergang vom proto-indo-europäischen *ger- zum proto-indo-europäischen "*grep" erscheint mir jedenfalls nicht sehr naheliegend.

Die Rekonstruktion des proto-germanischen Wortes "kraftuz" als direkter Vorläufer 8 zwingt hingegen den Gedanken an das griechische "Kratos" förmlich auf, aber die Sprachwissenschaftler im Wiktionary folgen diesem Pfad nicht.

Es gibt Grenzen für die Erforschung der Herkunft und alten Bedeutung von Wörtern. Dennoch ist ein Blick darauf nicht völlig wertlos. Einigkeit scheint zu existieren, dass "-kratie" von "Kratos" mit der Hauptbedeutung Kraft abstammt.

Unabhängig von der Herkunft des deutschen Wortes Kraft, führt diese Hauptbedeutung des Wortes "Kratos" für die Demokratie zu der Übersetzung "Kraft des Volkes". Diese Übersetzung gibt dem Begriff, sowie auch anderen "-kratie"-Formen, einen etwas anderen Interpretationsrahmen als die Übersetzung "Herrschaft".

Das Staatswesen wird Kraft des Volkes Wirklichkeit. Das passt hervorragend zu der, in einem früheren Beitrag von mir gemachten, Feststellung, dass der Staat im Sinne der Wortherkunft durch das Auf- und Zusammenstehen der Bürger gebildet wird 9 .

Das erstaunlichste an diesen Feststellungen ist für mich, dass sie so offensichtlich stimmen, sofern der Demos als das staats- und gesellschaftstragende Element betrachtet wird, wie es die üblichen Darstellungen von Gesellschaftspyramiden durchaus nahe legen.

Unser Grundgesetz folgt mit den Worten des Artikel 20 (2) "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." im Grunde dieser Sichtweise. Nur wird uns beigebracht, dass diese Aussage normativen Charakter habe, während es genauso gut als eine Tatsachenfeststellung des Unvermeidlichen betrachtet werden kann. Lediglich die darauf folgende Festlegung der Aufteilung dieser Gewalt ist dann Normativ.https://en.wiktionary.org/wiki/Autokratie

Im Gegensatz hierzu sind die anderen sogenannten "-kratien" in Wirklichkeit nicht in der Lage ein Staatswesen zu tragen, in letzter Konsequenz muss dies immer das Volk tun.

Autokratien 10 , Plutokratien 11 und Aristokratieen 12 sind daher im Kern ihrer Aussage Lügen, wenn sie auf einen Staat angewendet werden.

Vielleicht sollen diese Begriffe die Bürger davon abhalten, ihre tragende Rolle zu erkennen und zu nutzen.

In diesem wortwörtlichen Sinne des Begriffes sind alle Staaten Demokratien, da sie nur Kraft des Volkes existieren können und getragen werden. Diese Sicht widerspricht natürlich allem, was ich in der Schule über Demokratie gelernt habe. Auf der anderen Seite legt diese Sichtweise die "Kraft des Volkes" offen dar und gibt dem Bürger eine Vorstellung von dem Ausmaß seiner Kraft.

Werden die Bürger sich dieser Tatsache in ihrer Masse bewusst, dann wird dies zwangsweise Auswirkungen auf die Ausgestaltung von Staaten haben. Demokratie ist eine fest stehende Tatsache, und zukünftige Staatswesen werden sie akzeptieren müssen, wenn sie ihr nicht zum Opfer fallen wollen.

Bei der Ausgestaltung entsprechender Staatswesen gibt es vermutlich viele verschiedene Möglichkeiten, doch dies ist nicht das Thema dieses Beitrags.

Vieles deutet allerdings darauf hin, dass unsere modernen Plutokraten und Aristokraten darauf hoffen, dass sie in Zukunft den Demos ganz oder doch wenigstens überwiegend durch sogenannte "Künstliche Intelligenz" und durch Roboter ersetzen können. Gedanken wie diese sind natürlich gefährlich für alle Menschen, welche nicht zu diesen Kreisen zählen, sie sind aber auch gefährlich für die Plutokraten und Aristokraten, solange sie noch nicht am Ziel angekommen sind. Und falls sie am Ziel ankommen sollten, werden sie feststellen, dass ihr Utopia zum Scheitern verurteilt ist.

Wir leben in aufregenden Zeiten.


Erkenntnisse haben meistens vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.

Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.

Fußnoten


  1. Woher kommt -kratie - Wortherkunft von -kratie - wissen.de ; www.wissen.de
  2. Woher kommt Kraft - Wortherkunft von Kraft - wissen.de ; www.wissen.de
  3. Köbler, Gerhard, Deutsches Etymologisches Wörterbuch, 1995 ; www.koeblergerhard.de
  4. Reconstruction:Proto-Indo-European-kret- - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  5. Kraft – Wiktionary ; de.wiktionary.org
  6. Ger – Wiktionary ; de.wiktionary.org
  7. Germanus - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  8. Reconstruction:Proto-Germanic-kraftuz - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  9. Aufs Wort Geschaut: Staat ; Frank Siebert; Idee; 2022-11-28
  10. Autokratie - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  11. plutocracy - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  12. aristocracy - Wiktionary ; en.wiktionary.org