Idee der eigenen Erkenntnis
Idee der eigenen Erkenntnis

Der Lockdown ist eine politische Grundentscheidung

Frank Siebert
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Jetzt aber schnell raus aus der Live-Übertragung

In dem Artikel auf ScienceFiles vom 21.01.2021 ist man sich sicher. Das Umschalten des Senders ARD fort von der Live-Übertragung der Bundespressekonferenz hatte etwas mit der Frage des Herrn Reitschuster zu tun. 1 .

Die Frage, in dem Video kaum richtig zu hören, ist aber auch wirklich eine interessante gewesen. Da ich nun schlicht keine Beweise für die im Artikel geäußerte Vermutung habe und die Suche danach wahrscheinlich erfolglos wäre, gehe ich hier lieber der Frage nach: "Wie lautete die Antwort der Bundeskanzlerin?"

Dafür schaute ich in die Mitschrift der Bundespressekonferenz vom 21.01.2021 2 .

Die Frage

Reitschuster:

Frau Merkel, Sie haben gesagt, die Frage „Was erwartet uns in den nächsten Jahren?“ werde später immer mehr in den Vordergrund rücken. Nun werfen Kritiker Ihnen vor, dass das bei Ihnen im Moment nicht genügend im Vordergrund stehe. Auch in der Unionsfraktion wurde Ihnen gestern vorgeworfen, dass Sie sich einseitig beraten ließen. In der Expertenrunde waren zwei Vertreter der Null-COVID-Strategie, es war aber kein einziger expliziter Kritiker dabei. Es gibt die Studie von Ioannidis ‑ wissenschaftlich belegt ‑, der sagt: Lockdown schadet und hilft nicht 3 . Es gibt keine wissenschaftlich belegte Studie, die die Bundesregierung nennen konnte. Warum tauschen Sie sich nicht mit den expliziten Kritikern offensiver aus? Warum wird diese Ioannidis-Studie nicht berücksichtigt? Als Wissenschaftlerin müssen Sie doch immer beide Seiten hören. Woher kommt der Glaube, wie das Ihre Sprecherin ausdrückte, wenn viele Wissenschaftler auch andere Meinungen haben?

[...]

Wissenschaftliche Betrachtung spielt für den Lockdown keine Rolle

Frau Merkel bringt dies in ihrer Antwort klar und deutlich zum Ausdruck.

Merkel:

[...]

Wissen Sie, das überrascht mich ein bisschen. Erstens wählen wir die Wissenschaftler immer nach der Frage aus: Was steht im Zentrum der Beratung? Diesmal stand die Mutation im Zentrum. Da hatten wir sehr interessante Wissenschaftler, zum Beispiel Herrn Apweiler, der für Großbritannien die Sequenzierung durchgeführt hat, Herrn Professor Nagel von der Technischen Universität Berlin, der genauso wie Herr Meyer-Hermann Modellierungen macht, und Professor Krause vom Helmholtz-Zentrum in Braunschweig, der dezidiert in vielen Fragen anderer Meinung ist.

Schauen Sie: Es gibt ein breites Spektrum an Wissenschaftlern. Nicht nur die, die jetzt gerade eingeladen sind, sind diejenigen, mit denen ich spreche oder mit deren Ergebnisse ich mich befasse. Es gibt aber in dem Ganzen auch politische Grundentscheidungen, die mit Wissenschaft nichts zu tun haben. Jeder Wissenschaftler arbeitet nach bestem Wissen und Gewissen. Aber die Grundentscheidung heißt: Will ich ‑ natürlich durch den Impfstoff etwas weniger ausgeprägt ‑ darauf setzen, dass sich immer so viele Leute wie möglich anstecken, um dann doch vielleicht irgendwo zu einer besseren Durchseuchung ‑ das Wort hört sich schrecklich an ‑, zu einer besseren Infektionsimmunität jüngerer Altersgruppen zu kommen oder will ich das nicht?

Diese politische Entscheidung habe ich getroffen. Ich kann die wissenschaftlichen Studien lesen, aber uns nimmt ja trotzdem keiner die Entscheidung ab. Diese politische Entscheidung habe ich getroffen, weil ich weiß ‑ ‑ ‑ Professor Kroemer von der Charité hat mir gesagt, dass vor kurzer Zeit das Durchschnittsalter der dort liegenden Menschen 63 Jahre betrug. Wir wissen, dass die Todesrate ‑ oder der schwere Verlauf bei den Älteren ‑ natürlich viel, viel höher ist. Wenn 63 Jahre das Durchschnittsalter ist, dann wissen Sie, wie viele Jüngere auch davon betroffen sind. Ich finde, dieses Risiko kann man nicht eingehen. Ich möchte es nicht eingehen. Aber daraus leiten sich dann natürlich politische Handlungen ab.

Trotzdem verfolge ich natürlich alle Meinungsbildungen. Wir sind ja nicht jemand, der irgendwie ignorant ist. Mit der Einladung von bestimmten Wissenschaftlern wollen wir auf bestimmte Fragen, die uns interessieren und die nicht politischer Natur sind, Antworten bekommen. Aber dahinter liegen natürlich auch politische Grundentscheidungen. Was die Gruppe derjenigen angeht, die eher zur Herdenimmunität neigt ‑ da gibt es viele, viele Nuancen ‑, diese Grundentscheidung treffe ich anders.

Kommentar

Die Nebelkerzen nach der Kernaussage der Kanzlerin kann man getrost ignorieren.

Die Studie eines der meist zitierten Wissenschaftler aller Zeiten 4 hat sie gerade mit politischen Gründen zur Seite gewischt.

An dieser Tatsache ändert auch eine Aussage von Professor Kroemer von der Charité über das Durchschnittsalter in der Charité liegender Menschen nichts. Auch hilft es Frau Merkel nichts, dass die Studie deutlich vorsichtigere Aussagen macht, als in der Frage des Journalisten formuliert. Sie hat es klar gesagt: Der Lockdown ist eine politische Grundentscheidung, die mit Wissenschaft nichts zu tun hat.

Die Aussage Frau Merkels, dass sie natürlich alle Meinungsbildungen verfolgt, will ich hier jetzt nicht gegen sie verwenden. Obwohl ich nicht ausschließen kann, dass sie dies wörtlich meinte.

Fußnoten


  1. Live bei der ARD-Zensur dabei sein – Kritik wird vom Staatsfunk sofort unterbunden , ScienceFiles, 2021-01-21
  2. Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zur aktuellen Lage , www.bundeskanzlerin.de, 2021-01-21
  3. Second versus first wave of COVID-19 deaths: shifts in age distribution and in nursing home fatalities , John P.A. Ioannidis, Cathrine Axfors, Despina G. Contopoulos-Ioannidis, doi: https://doi.org/10.1101/2020.11.28.20240366 , medrxiv.org, 2021-01-26
  4. John Ioannidis - C. F. Rehnborg Professor in Disease Prevention in the School of Medicine and Professor of Health Research and Policy (Epidemiology) and (by courtesy) of Statistics , biox.stanford.edu

Kategorie:ARD Kategorie:ScienceFiles Kategorie:COVID-19 Kategorie:Angela_Merkel