Idee der eigenen Erkenntnis
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Aufs Wort Geschaut: Familie

Frank Siebert
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Wo kommt es her? Tatsächlich scheinen sich die Sprachforscher uneins zu sein, und die erste Herkunftsableitung entlockte mir ein schockiertes Lachen.

Den Begriff "Familie", und da sind sich die Sprachforscher wohl einig, haben wir aus dem Lateinischen übernommen. Vermutlich überrascht dies niemanden.

Aber die Aussage, Zitat:

Familie, dem Lateinischen "familia" entlehnt, von "famula" (“weiblicher Diener”)

Zitat Ende

kann einen doch etwas aus der Fassung bringen. Ein altes, fast vergessenes Weltbild von dem dienenden Eheweib feiert vor dem geistigen Auge eine Wiederauferstehung. Dies soll die Grundlage unserer modernen Familie sein?

Zum Glück gibt es eine zweite Meinung zu diesem Thema, nach welcher der Begriff für die Dienerin dem Begriff "familia" 1 entlehnt wurde, und nicht anders herum. Dafür lernen wir, dass "famula" nicht nur Dienerin, sondern auch Sklavin bedeuten kann.

Die lateinische "familia" umfasst alle Mitglieder eines Haushaltes, auch Diener und Sklaven, kann aber auch alle Mitglieder einer Denkschule meinen, oder auch Familie in heutigem Sinne bedeuten, und in rechtlichen Angelegenheiten auch für das Anwesen, also Haus und Grundbesitz, stehen.

"Familia" soll seine Herkunft im rekonstruierten proto-italienischen "fameljā" 2 haben, was laut Sprachforscher die Bedeutung "Haushalt" besaß.

Auf dieser Seite des Wiktionary meldet sich wieder die erste Meinung zu Wort und leitet den Haushalt wieder von dem Begriff des Haussklaven ab. Ich will mich dieser Meinung nicht anschließen, denn sie ist zu frustrierend.

Familie ist also aus einem Hause, im ganz klassischen Sinne, aber auch im erweiterten Sinne, die Diener und Sklaven einschließend, oder auch im übertragenen Sinne, eine bestimmte Denkschule umfassend. Letzteres ist ja nicht ganz unüblich, kennen wir doch auch Heute noch oft neben der Familie eine oder auch mehrere Wahlfamilien, die wir uns selbst im Laufe unseres Lebens aussuchen.

Im Eintrag "familia" findet sich bei der Zweitmeinung eine mutige, weiter zurück reichende Herleitung mit der Bedeutung Fundament, auf die ich hier aber nicht eingehen will.

Insgesamt ist die Herkunft von Familie, auch wenn man der letzten mutigen Herleitung folgt und beim Fundament angelangt, noch immer recht ernüchternd. Geht es nur mir so? Mir fehlt da das lebendige, wachsende, erneuernde Element.

Was ist mit dem zentralen Element der Familie? Was ist mit den Kindern?

Wenn das bereits alles ist, was die Herkunft des Wortes Familie betrifft, dann muss uns da wohl das bessere Wort über die Zeit verloren gegangen sein.

War es das? Soll ich hier Schluss machen?

Sippe

Vielleicht probiere ich es einmal mit dem Wort Sippe, welches ja heute auch gerne mit leicht abfälligem Anklang gebraucht wird. Folgt man dem Pfad der Herkünfte, dann landet man letztendlich bei dem rekonstruierten proto-indo-europäischen rückbezüglichen Fürwort "swé" 3 , dass man auf sich anwendet.

Die Sippe, das sind immer die Eigenen. Andere als Sippe zu beschimpfen macht also gar keinen Sinn. Und "Meine Sippe" ist eine sogenannte Tautologie 4 , wie z.B. ein Pferd als "Weißer Schimmel" zu beschreiben. Das "Mein" ist bereits im Begriff "Sippe" enthalten.

Zumindest soll dies Ursprünglich so gewesen sein. offenbar gibt es eine sprachwissenschaftliche Meinung, dass sich das Altgriechische "ἑός" (heós) 5 und auch dessen alternative, bereits von Homer verwendete Form ὅς (hós) 6 , davon herleiten, und schon Homer habe es sowohl im Sinne von "Die Meinen" als auch im Sinne von "Die Deinen" verwendet.

Und wer will schon mit Homer streiten? Es ist daher vermutlich in Ordnung, sowohl von meiner Sippe als auch von Deiner Sippe zu sprechen. Man kann bei der Suche nach der ursprünglichen Bedeutung auch zu weit in die Vergangenheit gehen.

Dennoch muss ich anmerken, dass der Begriff Sippe, durch den starken Selbstbezug in seiner Wurzel, einen viel stärker bindenden Charakter besitzen würde als der Begriff Familie, wenn die Sprachforscher mit ihren Rekonstruktionen richtig liegen.

Aber mir fehlt noch immer das lebendige, wachsende, erneuernde Element. Noch immer keine Kinder in Sicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass kein Synonym für den Begriff "Familie" existiert oder existierte, in dem Kinder eine Rolle spielten.

Das kann nicht sein.

Clan

Als ein Synonym für "Sippe" wurde "Clan" aufgelistet.

Ich befürchte ja, der Ku Klux Klan hat den Begriff Clan unter Umständen etwas in Verruf gebracht, doch dies soll mich nicht davon abhalten das Wort hier zu durchleuchten.

"Clan" 7 , so lerne ich, ist dem irischen "clann" entlehnt und bedeutet “Nachwuchs, Kinder der Familie”. Das ist doch einmal etwas! Da sind sie endlich, die vermissten Kinderlein.

Aber es wird noch besser. In alt-irisch hieß es "cland" und war dem alt-walisischen "plant" entlehnt, welches wiederum dem lateinischen "planta" entlehnt worden ist, wo es für "Sprößling", "Trieb", "Nachwuchs" stand. Das Wort sei eine Dublette des Wortes "plant" gewesen. Wir erkennen, ohne dies nachzuschlagen, dass unser Wort "Pflanze" ganz offensichtlich die gleiche Herkunft hat.

Hurra! Das sprüht von Leben, Wachsen und Erneuern!

Wer Kinder möchte, der sollte sich mit der Familiengründung nicht lange aufhalten, sondern gleich einen Clan gründen. Gut, ein Haushalt gehört heute irgendwie schon auch dazu, die Kinder brauchen ja ein Dach überm Kopf.

Einigen wir uns also auf einen Familien-Clan.

Das war jetzt echt schwierig, aber ich bin froh, dass ich nicht bei dem Begriff "Familie" aufgehört habe.

Offene Fragen

Wie konnte es geschehen, dass der schwächste Begriff - "Familie" - sich im Wortgebrauch gegen "Sippe" und "Clan" durchgesetzt hat? Ist dies einfach nur zufällig passiert?

Das ist schwer zu glauben, zeigen Worte unserer unmittelbaren und vor allem persönlichen Erlebniswelt doch oft ein erstaunliches Beharrungsvermögen.

Standen Sippen und Clans Bestrebungen im Weg, Macht zu zentralisieren?

War die Verdrängung der Begriffe durch das lateinischen "familia" eine Möglichkeit, diese im Zuge der Christianisierung zu schwächen, um auf lange Sicht damit den Zusammenhalt von Sippen und Clans selbst zu schwächen?

Ich habe keine Ahnung, wie ich eine Antwort auf diese Fragen finden könnte.

Verlorene Worte

Hīwisch

Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen, und so habe ich weiter gegraben.

Das rekonstruierte proto-germanische "hīwōnō" (ˈxiː.wɔː.nɔː) 8 soll "verheiratetes Paar, Haushalt" bedeutet haben.

Es wird auf das ebenfalls rekonstruierte proto-germische Wort hīwiskiją (xiː.wis.ki.jɑ̃) 9 für "Haushalt" verwiesen, welches das Wort hīwą (xiː.wɑ̃) 10 für "Heirat" als einen Teil enthält. Letzteres wird von einem Wort mit der Bedeutung "Niederlegen" abgeleitet.

Ob sich die Aussprache des am Anfang des Wortes stehenden "hi" im Althochdeutschen oder im Mittelhochdeutschen bereits von "xi" nach "hi" verschoben hatte, konnte ich den Angaben nicht entnehmen. Aber auf meine Aussprachekünste sollten Sie sich sowieso nicht verlassen. Ich verwende ab dem Althochdeutschen die Aussprache "hi", weil ich es nicht besser weiß.

Von hīwiskiją (xiː.wis.ki.jɑ̃) leitet sich das proto-west-germanische "hīwiskī" 11 [Anmerkung; Vermutlich xiː.wis.ki ausgesprochen] ab, dass im Althochdeutschen als "hīwiski" 12 und offenbar im Mittelhochdeutschen als hīwische, hīwisch weiter existiert hat.

Damit ist hīwisch oder auch hīwische das direkte mittelhochdeutsche Gegenstück zum lateinischen "familia", mit im Grunde gleicher Bedeutung, allerdings mit einer Betonung auf das Haushalt-gründende Paar, da der Begriff "Heirat" noch darin mit schwingt. Wobei, die rekonstruierte Ableitung der "Heirat" von "Niederlegen" könnte andeuten, dass diese Vorstellung von Heirat nicht unserer heutigen entsprechen muss. Und es handelt sich um Rekonstruktionen, die nicht fehlerfrei sein müssen.

Ich weiß nicht, warum "familia" das mittelhochdeutsche "hīwisch" hinweg wischen konnte. Aber es klingelt irgendwie ständig in meinem Kopf, als wolle sich eine Erinnerung melden, ich hätte etwas ähnlich klingendes in einem deutschen Dialekt irgend wann schon einmal gehört. Sachdienliche Hinweise sind natürlich willkommen.

Da Heirat im althochdeutschen "hirat" 13 hieß, könnte man vermuten, dass sich das Mittelhochdeutsche "hīwische" vielleicht im Wort "heimisch" erhalten hat, aber die Sprachwissenschaftler sind da anderer Ansicht 14 .

Kunni

Das Wort "Kunni" 15 könnte über den Namen Kunigunde bekannt vorkommen. Der Name ist nicht mehr üblich, aber immerhin noch allgemein als Name bekannt.

"Kunni" hat den selben Wortstamm wie das englische "kin" oder auch das "Gen", das in den Wörtern "Genetik", "Generation" oder "Genitalien" vorkommt, und es bedeutet, genauso wie das englische "kin", Familie, nicht im Sinne von Haushalt, sondern im Sinne von Kindern, ein Wort, in dem wir den gleichen Wortstamm wieder erkennen.

Fazit

Das Wort "Familie" ist ein eher schwaches Wort. Als Kriterium nehme ich die Herkunftsbedeutung und deren Beschreibung der zwischenmenschlichen Intensität. Der Begriff "Familie" ist da wohl das Schlusslicht.

Das von der Herkunftsbedeutung her vergleichbare Hiwisch, mit dem Bezug zur Heirat, ist stärker, ging aber unserer Sprache verloren.

Die Sippe - "Die Meinen" - ist ein Wort stärkerer Bindung, sobald es um mehr Personen als nur ein Ehepaar geht.

Der Clan und die Kunni definieren sich über die Nachkommen, den Nachwuchs, die Kinder. Einen Begriff für "Familie", der sich über die Kinder definiert, halte ich für besonders stark. Kinder sind schlicht das Wichtigste. Beide Begriffe stehen für Fruchtbarkeit, Erneuerung, Leben.

Auch wenn dies nirgends auf den betrachteten Seiten stand, ist der Clan wohl eher die weitere Familie und die Kunni eher die engere Familie.

Mit dem Wort "Kunni" ist uns also ein sehr starkes Wort in der deutschen Sprache verloren gegangen. Das ist Schade, aber wir können es ja jederzeit wieder in unseren Sprachschatz aufnehmen. Das ist ganz einfach, wir müssen es nur verwenden.

Dieser Artikel soll nicht den Wert von Familie in Frage stellen. Im Gegenteil! Familie ist so wichtig und wertvoll, wir sollten für sie ein möglichst starkes Wort verwenden, welches ihrer Bedeutung gerecht wird.

Das Wort "Familie" enttäuscht in dieser Hinsicht doch sehr.


Erkenntnisse haben immer vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.

Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.

Fußnoten


  1. familia - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  2. Reconstruction:Proto-Italic-fameljā - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  3. Reconstruction:Proto-Indo-European-swé - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  4. ταὐτολογία - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  5. ἑός - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  6. ὅς - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  7. clan - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  8. Reconstruction:Proto-Germanic-hīwōnō - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  9. Reconstruction:Proto-Germanic-hīwiskiją - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  10. Reconstruction:Proto-Germanic-hīwą - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  11. Reconstruction:Proto-West Germanic-hīwiskī - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  12. hīwiska ; Academic dictionaries and encyclopedias
  13. hirat - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  14. heimisch - Wiktionary ; en.wiktionary.org
  15. kunni - Wiktionary ; en.wiktionary.org