Idee der eigenen Erkenntnis
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Astronomie: Der galoppierende Treibhauseffekt auf der Venus

Frank Siebert
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Haben Sie auch bereits von dem galoppierenden Treibhauseffekt auf der Venus gehört? Einstmals sei die Atmosphäre der Venus jener der Erde sehr ähnlich gewesen, aber dann sei es wegen des vielen CO₂ zum galoppierenden Treibhauseffekt und zu den lebensunfreundlichen Temperaturen der heutigen Venus gekommen.

Ich glaube kaum, dass ich eine Quelle für diese Darstellung angeben muss, dass Internet ist voll davon. Mich beschäftigt die Frage, wie die Atmosphäre der Erde entstand und sich entwickelte, seit einiger Zeit, und ich hatte dazu eine ungefähre Vorstellung entwickelt. Und diese Vorstellung passt nicht mit einem galoppierenden Treibhauseffekt auf der Venus zusammen, weshalb es bei einem Bier zum Streit mit einem guten Freund kam.

Dafür sind Freunde ja unter anderem da, für einen guten Streit über ein interessantes Thema. Da wir beide Laien sind, müssen wir letztlich auf die Forschung anderer verweisen, und natürlich schüttelt ein Laie diese nicht mal schnell aus dem Ärmel. Mein Freund wollte Quellenangaben zu meiner Sicht, und diese schickte ich ihm darauf hin.

Da die Mail keine privaten Themen betrifft, will ich sie hier einfach verwenden:

Du wolltest von mir eine Quelle genannt haben. Ich habe dazu den Artikel "The Great Oxidation Event: How Cyanobacteria Changed Life" 1 gefunden, der auch auf weitere Quellen verweist. Um einige der Quellen lesen zu können, ist Sci-Hub ein nützliches Werkzeug (Sci-Hub: removing barriers in the way of science). Demnach bestand vor der Entwicklung der Photosynthese die Atmosphäre vorwiegend aus CO₂ und enthielt mehr Methan als heute. Vorwiegend CO₂ in der Atmosphäre ist daher wohl auch bei der Venus als initialer Zustand naheliegend, was die Idee eines Greenhaus-Runaway-Effekts, der das Klima auf der Venus von moderaten Temperaturen auf heutige Temperaturen erhöhte, zu einer bizarren Schnapsidee macht. Mir sind keine Indizien dafür bekannt, dass es jemals moderate Temperaturen auf der Venus gab.

Meine Aussage, dass sich die Atmosphäre in den Ozeanen fortsetzt beruht auf "Henry's law" 2 zur Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten, wobei verschiedene Konstanten für verschiedene Gase und Temperaturen dazu führen, dass sich das Verhältnis der gelösten Gase zueinander in den Ozeanen und der Atmosphäre mit der Temperatur ändert. Auf der Erde führt dies dazu, dass die Ozeane am Äquator eine CO₂ Quelle und in den nördlicheren und südlicheren Breiten eine CO₂-Senke sind. Findet insgesamt eine Erwärmung der Ozeane statt, in der Folge begleitet von höheren Temperaturen an Land, erhöhen sich nach Henry's Law die CO₂-Anteile in der Atmosphäre. Eine ausführliche Betrachtung mit verlinkten Studien ist der Artikel "Henry’s Law controls CO2 concentration, not humans" 3 .

Teilweise gekontert wird dieser Effekt durch die verbesserte Photosynthese an Land, siehe "Greening of the Earth and its drivers" 4 .

Auch die geringere Höhe der Atmosphäre an den Polen gegenüber der Höhe am Äquator würde ich auf die Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit von Gasen nach Henry's Law betrachten, aber dazu würde ich gerne selbst eine gute Quelle finden, auch wenn ich den Gedanken für sehr nahe liegend halte.

Aber nicht nur die Meere "atmen" nach Henry's Law, sondern auch der Boden. Bei NIST bin ich einmal zufällig über Listen von Henry-Konstanten für verschiedene Bodentypen gestolpert. Das fand ich etwas irritierend, schließlich sind Böden keine Flüssigkeit.

Mail Ende

Natürlich ist der Streit damit nicht beigelegt und mein Freund verwies natürlich weiterhin darauf, dass Physiker und Astronomen doch von früheren moderaten Temperaturen auf der Venus reden, und ich bestand weiter darauf, dass mir keine physikalischen Indizien bekannt seien, welche auf früher moderate Temperaturen auf der Venus hinweisen würden. Aber ich hätte sehr großes Interesse an solchen Hinweisen.

Da ich mehr Zeit zur Recherche habe, beschloss ich nicht auf Quellenangaben meines Freundes zu warten und selbst zu suchen. Die Suche nach "Venus Study Atmosphere" brachte als einen der ersten Links, und als ersten Link dem ich folgte, folgendes auf meinen Bildschirm.

Das Abstrakt der in der Dezember-Ausgabe 2023 von Nature Astronomy veröffentlichten Studie "Venus’s atmospheric nitrogen explained by ancient plate tectonics" 5 berichtet, Zitat (Übersetzt):

Die Venus ist der am wenigsten erforschte der terrestrischen Planeten. Trotz großer Ähnlichkeiten mit der Erde in Bezug auf Masse und Größe gibt es auf der jungen Oberfläche der Venus keine Anzeichen für Plattentektonik, und die Atmosphäre der Venus unterscheidet sich auffallend von ihr. Numerische Experimente zur langfristigen Planetenentwicklung haben versucht, die thermotektonische Geschichte der Venus mit unbestimmten Ergebnissen zu verstehen. Die Venusatmosphäre ist jedoch mit der inneren Entwicklung verknüpft und kann als Diagnose verwendet werden, um die Entwicklung des Planeten einzuschränken. Hier vergleichen wir die heutige Venusatmosphäre mit Atmosphären, die durch langfristige thermisch-chemisch-tektonische Entwicklungsmodelle erzeugt wurden. Wir stellen fest, dass ein kontinuierliches Regime eines stagnierenden Deckels auf einer einzigen Platte, das seit der Frühzeit wirkt (Erstarrung des Magmaozeans), weder die heute beobachteten atmosphärischen Häufigkeiten von N₂ und CO₂ noch den Oberflächendruck erklärt. Stattdessen erfordert die Venusatmosphäre vulkanische Ausgasung in einer frühen Phase plattentektonischer Aktivität. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Venusatmosphäre das Ergebnis eines großen klimatisch-tektonischen Übergangs ist, von einer frühen Phase aktiver Plattentektonik, die mindestens 1 Gyr andauerte, gefolgt von der gegenwärtigen stagnierenden, plattentektonischen Phase mit reduzierten Ausgasungsraten.

Zitat Ende

Die Studie selbst ist hinter einer Bezahlschranke, aber die ergänzenden Informationen sind frei zugänglich und erlauben eine Einschätzung der Argumentationskette, welche die Autoren zu deren Aussage brachte.

Im Mittelpunkt der Arbeit steht laut Titel der Stickstoffanteil in der Atmosphäre der Venus, aber notgedrungen müssen die Autoren auf die Entwicklung und Zusammensetzung der gesamten Atmosphäre eingehen, so dass auch die Betrachtung von CO₂ einen großen Raum einnimmt.

Die Autoren gehen auch auf die vielen Unbekannten in der Entwicklungsgeschichte der Venusatmosphäre ein. Es ist unbekannt, wie viel Atmosphäre durch die vermuteten ersten wilden Jahre der jungen Sonne von der Venus fort gerissen wurde. Es ist unbekannt, wie viel Atmosphäre später über einschlagende Meteore eingetragen wurde. Dies sind natürlich nur zwei Beispiele von viel mehr Unbekannten, welche die numerische Simulation der Autoren erschweren. Als Kontrollinstanz für die Abschätzung der vielen Unbekannten verwenden die Autoren die Atmosphäre der Erde, über deren Entwicklung wir ein bisschen mehr wissen.

In ihrem Ergebnis finden die Autoren, dass die Atmosphäre der noch mit Magma-Ozeanen bedeckten Venus dichter, schwerer und ausgedehnter als heute war, vorwiegend aus CO₂ bestand und mehr Stickstoff als heute enthielt. Viel CO₂ und Stickstoff sei zu dieser Zeit aus der Atmosphäre ins All entwichen, und viel CO₂ sei im Mantel gebunden worden, als die Kruste der Venus aushärtete und in die Phase der aktiven Plattentektonik eintrat. Diese muss laut der Studie mindestens 1 Milliarde Jahre angedauert haben, um den von den Aktivitäten der jungen Sonne verursachten Atmosphäre-Verlust durch weiteres Ausgasen an den aktiven Plattengrenzen zu kompensieren. Nach dem Übergang zur stagnierenden plattentektonischen Phase sind die Ausgasungsraten deutlich reduziert, aber auch der weitere Verlust von Atmosphäre ins All ist weniger geworden.

Mit diesem Ergebnis widersprechen die Autoren der häufig in populärwissenschaftlichen Artikeln und Filmen als Tatsache geäußerten Annahme, die Venus habe früher eine der Erde ähnliche Atmosphäre gehabt. Wobei diese Aussage, wäre sie anders herum, durchaus eine berechtigte sein würde, denn die junge Erde hatte wohl ebenfalls eine dichtere, schwerere und ausgedehntere Atmosphäre mit sehr hohem CO₂ Anteil über ihren Magma-Ozeanen, ähnelte also der Atmosphäre der jungen und auch der heutigen Venus mehr als unserer heutigen Atmosphäre, wie sich den Ergänzungen der Autoren entnehmen lässt. Anders als auf der Venus war aber auf der Erde irgendwann flüssiges Wasser möglich, viel Atmosphäre wurde in den Ozeanen gebunden und die Photosynthese hat weiteren Kohlenstoff des atmosphärischen CO₂ in der Biomasse und in Kalkstein, Marmor und Schiefer gebunden und uns freien Sauerstoff und damit auch eine Ozon-Schicht beschert.

Die Venus hatte also dieser Studie zufolge früher durchaus eine der früheren Erde ähnliche Atmosphäre, die aber keine Ähnlichkeit mit der heutigen irdischen Atmosphäre hatte.

Der gerne erwähnte galoppierende Treibhauseffekt, der die heutigen Temperaturen der Venus verursacht habe, macht keinen Sinn, wenn man berücksichtigt, dass die Venus diese Atmosphäre, und früher sogar eine schwerere und ausgedehntere, seit ihrer Entstehung hat.

Auf der Erde hat das Leben durch die Photosynthese eine Venus-ähnliche Atmosphäre in unsere heutige Atmosphäre verwandelt. Und so lange es die Photosynthese weiter gibt, wird es uns kaum gelingen, durch das Freisetzen von CO₂ wieder eine Venus-ähnliche Atmosphäre zu erhalten.

Ich habe zu diesem Thema auch das kurze Video "The Difference Between Earth And Venus" 6 von Tony Heller, einem Geologen, gefunden. Ziemlich genau ein Jahr später geht Tony Heller im Video "Globalists Discover Life On Venus" 7 zusätzlich auf mögliche politische Hintergründe einiger "Forschungsergebnisse" zur Venus ein.

Wahrscheinlich gibt es andere Studien, welche eine andere Entwicklung der Venus-Atmosphäre beschreiben. Vielleicht war es reiner Zufall, dass ich in meiner Recherche gleich bei der ersten von mir geöffneten Studie meine Sicht als Laie bestätigt bekomme. Vielleicht habe ich Teile dieser ergänzenden Texte falsch verstanden. Letztlich müssen Sie wohl selbst einen Blick in die verschiedenen Quellen wagen, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Über Quellenhinweise auf Studien, welche eine frühere Venus mit moderaten Temperaturen vermuten und die physikalischen Hinweise darauf anführen, würde ich mich sehr freuen. Eine gesicherte Erkenntnis, so legen es die von den Autoren beschriebenen Unbekannten nahe, kann es dazu zur Zeit kaum geben.

Ergebnis: Wer die Venus als warnendes Beispiel in der Klimadebatte verwendet, verbreitet irrationale Angstszenarien. Das kann auch Wissenschaftlern passieren, denn diese sind ja auch nur Menschen.


Erkenntnisse haben meistens vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.

Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.

Fußnoten


  1. The Great Oxidation Event: How Cyanobacteria Changed Life ; Kartik Aiyer; ASM.org; 2022-02-18
  2. Henry's law ; en.wikipedia.org
  3. Henry’s Law controls CO2 concentration, not humans ; Bud Bromley; ClimateCite; 2021-08-18
  4. Greening of the Earth and its drivers ; Zaichun Zhu, Shilong Piao, Ranga B. Myneni, Mengtian Huang, Zhenzhong Zeng, Josep G. Canadell, Philippe Ciais, Stephen Sitch, Pierre Friedlingstein, Almut Arneth, Chunxiang Cao, Lei Cheng, Etsushi Kato, Charles Koven, Yue Li, Xu Lian, Yongwen Liu, Ronggao Liu, Jiafu Mao, Yaozhong Pan, Shushi Peng, Josep Peñuelas, Benjamin Poulter, Thomas A. M. Pugh, Benjamin D. Stocker, Nicolas Viovy, Xuhui Wang, Yingping Wang, Zhiqiang Xiao, Hui Yang, Sönke Zaehle, Ning Zeng; Nature Climate Change, volume 6, pages 791–795; Nature; DOI: https://doi.org/10.1038/nclimate3004 ; Supplemental via Internet Archive ; 2016-04-25
  5. Venus’s atmospheric nitrogen explained by ancient plate tectonics ; Matthew B. Weller, Alexander J. Evans, Daniel E. Ibarra, Alexandria V. Johnson; Nature Astronomy, volume 7 pages 1436–1444; Nature; DOI: https://doi.org/10.1038/s41550-023-02102-w ; 2023-10-26
  6. The Difference Between Earth And Venus ; Tony Heller; Odysee; 2019-11-22
  7. Globalists Discover Life On Venus ; Tony Heller; Odysee; Langfassung über das Internet Archive ; 2020-12-19