Idee der eigenen Erkenntnis
Idee der eigenen Erkenntnis

Verstehen

Frank Siebert
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Korrektur 2023-01-18: In Anerkennung des Beweises des eigenen Seins 1 durch René Descartes in dessen zweiten Betrachtungen, habe ich die Schlussbemerkungen verändert. Erkenntnisse haben nicht immer vorläufigen Charakter, sondern nur meistens.

Dieser Artikel wird schwierig, aber wenn dieser Blog den hehren Namen "Idee der eigenen Erkenntnis" trägt, dann muss es natürlich auch einen Artikel zu den Themen verstehen, begreifen, erkennen und aneignen geben. Ob ich hier die Reihenfolge der Begriffe richtig gesetzt habe, wird sich auch für mich erst im Verlauf des Schreibens ergeben. Dem Leser werde ich allerdings die Kapitel dem Ergebnis gemäß sortieren.

Ich bin kein Sprachwissenschaftler, sondern ich bin einfach nur ein Laie, der seine Muttersprache besser kennen lernen möchte. Im folgenden können sich daher natürlich Fehler eingeschlichen haben.

Da sich aber auch die Sprachwissenschaftler vielfach nicht einig sind und, spätestens wenn es in das proto-germanische hinein geht, vielfach selbst mit Mutmaßungen arbeiten müssen, blicke ich in Ruhe und auch mit einiger Vorfreude Korrekturhinweisen entgegen.

Die Grundlage unserer Kommunikation ist die Sprache.

Augenblick - das könnte falsch sein! Das ist mit großer Sicherheit falsch, denn kurzes Nachdenken fördert unwiderlegbar hervor, dass es nonverbale Kommunikation bereits viel länger gibt als verbale Kommunikation. Wir sollten dies gerade heute auf keinen Fall vergessen, gehen doch heute große Teile dieser nonverbalen Kommunikation hinter Gesichtsmasken oder in Texten wie diesem verloren. Dies ist ein gravierender Verlust.

Die Grundlage unserer verbalen Kommunikation ist die Sprache. Um aus einem Thema oder der Meinung eines Anderen eine Erkenntnis zu schöpfen, oder um ein Thema oder eine Meinung zu vermitteln, ist es wichtig die Sprache richtig zu verstehen.

Während diese Sprache einem stetigen Wandel unterliegt, hat doch unterschwelig (von Schwelen), oder gerne auch unterschwellig (von Schwelle), die alte Bedeutung der Begriffe ihren Einfluss auf unser Denken. Und gerade dann, wenn Begriffe bewusst falsch eingesetzt werden, kann uns das Nachdenken über die tatsächliche Bedeutung und Herkunft des Begriffes helfen dies zu erkennen.

Und jetzt werde ich versuchen, wie Münchhausen, mich am eigenen Schopf selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Denn wenn ich jetzt das Verstehen, Begreifen, Erkennen und Aneignen durchleuchte, um deren Bedeutung zu verstehen, zu begreifen, zu erkennen und mir zu eigen zu machen, werde ich gezwungener Maßen andere Begriffe verwenden, mit denen ich das Gleiche tun müsste.

Verstehen

Von wiktionary.org lerne ich zur Herkunft: Kompositum aus dem Präfix ver- und dem Verb stehen; bezeugt in den mittelhochdeutschen Formen verstēn und verstān, welche ihrerseits dem Althochdeutschen firstān – ursprünglich „rings um etwas stehen, etwas umstehen, etwas in der Gewalt haben, beherrschen", [...] 2

Ich habe die späteren Interpretationen hier ausgeklammert, da sie mir nicht weiter erhellend erschienen. "Um etwas stehen" und "etwas umstehen" jedoch finde ich äußerst erhellend. Verstehen beinhaltet offenbar das Konzept, ein Thema von verschiedenen Seiten anzugehen und anzusehen, um es später vielleicht gar anzugreifen und zu beherrschen.

Etwas von verschiedenen Standpunkten, von allen Seiten aus zu betrachten ist sprachlich Teil des Verstehens.

Doch der Begriff drückt auch Abstand aus, auch wenn dies nicht aus dem "Umstehen" hervor geht. Das "Umstehen" kann bis auf "greifbare Nähe" reduziert sein, doch ein Abstand ist da.

Die englische Fassung des Wiktionary führt den Begriff zurück bis auf das proto-germanische "frastāną" 3 und liefert für die alte Vorsilbe "fra" 4 die Bedeutungen:

  1. off, away (fort, weg)
  2. completely, fully, (vollständig), up- (mehr werdend),

Die Erstbedeutung verstärkt den Eindruck des Abstandes in der Bedeutung des Wortes "Verstehen". Bei dem Wort "verstärkt" würde ich instinktiv auf die Bedeutung "mehr werdend" dieser alten Vorsilbe zeigen.

Ich lerne daraus: Wenn ich Verständnis zu einer politisch brisanten Aussage erlangt und geäußert habe, muss ich Aufforderungen zur Distanzierung Aufgrund nicht vorhandener Nähe als undurchführbar ablehnen. Eine Distanzierung wäre das falsche Eingeständnis einer vorher vorhanden Nähe, und würde daher einen falschen Eindruck vermitteln.

Aufforderungen zur Distanzierung sind übrigens ein sehr verbreiteter Propaganda-Trick. Wann immer "investigative Journalisten" solche Aufforderungen medienwirksam äußern, bewerfen sie den Adressaten mit Schmutz. Der Begriff "denunzierende Journalisten" ist daher für diese Journalisten sicherlich treffender.

Der Trick ist so einfach und billig wie schmutzig und wirksam: Wer sich distanziert gesteht damit eine vorherige Nähe ein, wer sich nicht distanziert wird dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung in die gewünschte Ecke gerückt.

Begreifen

Herkunft: Aus mittelhochdeutsch begrīfen, das wiederum aus althochdeutsch bigrīfan für mit dem Verstand ergreifen stammt. Das Wort ist seit dem 8. Jahrhundert belegt. 5

Das englische Wiktionary führt die Vorsilbe "be-" 6 auf die proto-germanische Vorsilbe "bi-" 7 zurück, welche für eine örtliche Nähe steht.

Das Wort hat eine erstaunliche Stabilität über die Zeit gezeigt, wenn die Rekonstruktion des proto-west-germanischen Wortes "bigrīpan" 8 nicht ganz daneben liegt.

Die klein-kindliche Basislernmethode, "Nimm alles in die Hand, was Du noch nicht kennst, um es kennen zu lernen", ist offenbar derart Grundlegend, dass sich dieser Begriff dem Wandel der Sprache weitgehend entzieht. Die Bedeutung ist unverändert und wir würden das Wort im Verwendungskontext auch in der alten Form sofort wieder erkennen.

Ich wäre nicht überrascht, wenn dies auch für andere Begriffe unserer grundlegenden Erfahrungswelt ebenfalls der Fall ist.

Auf jedem Fall sind wir im Begreifen dem Thema also deutlich näher gekommen als im Verstehen. Wir haben es im Wortsinne in die Hand genommen, oder es mit unserer Hand ergriffen, um es in allen Details kennen zu lernen.

Aneignen

Bei diesem Begriff ist das Wiktionary nicht sehr ausführlich. Die deutsche Seite schweigt zur Herkunft, die englische Seite teilt uns mit, es sei aus an und eignen zusammengesetzt 9 . Eignen stamme aus dem Althochdeutschen 10 und gibt zum Vergleich einen Link auf das schwedische ägna.

Auf jeden Fall schwingt im "eignen" mit, das es für etwas geeignet, passend ist. Der Link zur Vorsilbenerläuterung landet aber auf einer Seite, welche für fast alle Herkunftsmöglichkeiten eine verneinenden Bedeutung angibt. Die Seite für das schwedische "ägna" teilt uns dann mit, dass dieses vom alt-nordischen "eigna" stammt. 11 .

Es handelt sich offenbar um eine relativ junge Wortkombination 12 Mit dem alt-nordischen Ursprung "jemandem etwas übergeben" 13 und der überwiegend als Verneinung interpretierten Vorsilbe "an-", gelange ich zu der tatsächlich nicht ganz sinnlosen Interpretation des "etwas annehmen", allerdings mit einem deutlich aktiveren Beigeschmack. Sobald das Thema Lernen verlassen wird klingt es doch eher nach "etwas an sich nehmen".

Wenn wir allerdings im Kontext Lernen bleiben, dann passt das "etwas annehmen" sehr gut, abgesehen davon dass eine negierende Bedeutung der Vorsilbe "an-" im Wort "annehmen" offensichtlich nicht passt, aber es gibt ja alternative Bedeutungen der Vorsilbe.

Wenn wir uns also lernend etwas aneignen, übernehmen wir etwas von anderen. Die mitschwingende Nebenbedeutung des geeignet, bzw passend Seins deutet an, dass das was wir uns aneignen dabei einen Prozess der Anpassung an uns durch macht. Das, was wir uns aneignen, ist dann doch nicht exakt das Selbe, wie das, was uns unser Gegenüber übergibt.

Das Aneignen Lernen wäre damit fast gleichbedeutend mit dem Erkennen Lernen , allerdings mit einer deutlich schwächeren Betonung der Veränderung des Gelernten beim Lernvorgang und ohne ... Spoiler-Alarm!

Erkennen

In der Bibel kommt es ja öfter vor, dass er sie erkannte und sie dann später gebar. Das ist zunächst verwirrend und man ist versucht dies damit zu erklären, dass hier einfach um den heißen Brei herum geredet wurde.

Die Herkunft des Wortes legt allerdings nahe, dass falsche Schamhaftigkeit nicht der Grund dafür ist. Herkunft: angelsächsisch âcennan = „gebären, zeugen“ (schon im Beowulf); althochdeutsch archennan, mittelhochdeutsch erkennen. Es wurde zur Übersetzung von lateinisch agnoscere → la und cognoscere → la verwendet. So wurden sinnliche und geistige Vorstellungen zu Mitbedeutungen des Wortes. 14

Das Erkennen, das Erlangen einer Erkenntnis, ist also ein schöpferischer Akt. Wir stehen nicht mehr nur darum herum und schauen es uns von allen Seiten an, um zu einem Verständnis zu kommen; wir nehmen es nicht nur in die Hand, um mehr darüber zu lernen; sondern wir dringen in die Sache ein und lassen uns von der Sache durchdringen. Mit dem Erkennen ist der Akt der Zeugung, der Befruchtung verbunden. Wir zeugen beim Erkennen und später gebären wir vielleicht sogar!

Der Begriff "Erkennen" beschreibt damit, dass die Information, welche wir durch Sehen, Hören oder Fühlen aufnehmen, nicht die Gleiche ist, welche wir in unserem Gedächtnis ablegen. Wir verbinden bei diesem Prozess das Neue mit dem Altbekannten und legen damit die Grundlage dafür, das komplett neue und eigene Ideen daraus hervor gehen.

Dies macht den Titel meines Blogs zweifach rekursiv. Zum einen rein sprachlich als rekursives Akronym, weil "Idee" die Abkürzung für "Idee der eigenen Erkenntnis" ist, aber zusätzlich über die tiefere Bedeutung des Begriffs "Erkenntnis" als Zeugungsakt neuer Ideen.

Das Erkennen als sinnlicher Akt, welcher im Höhepunkt der neuen Erkenntnis gipfelt, dem lauter kleine Ideen entspringen. Und wenn die kleinen Ideen denn mal groß geworden sind, dann verführen sie den nächsten Geist zu einem solchen Akt.

Über die Fortpflanzung von Ideen

Erst schaue ich nur von der Ferne,
und steh halt um Dich rum,
ich mag Dich schon ganz gerne,
für mehr fehlt mir der Mumm.

Ich will Dich erst verstehen,
ich schau von hier und dort,
kann all die Schönheit sehen,
mein Herz das ist schon fort.

Ich eile allen Mut aufbringend,
meinem Herzen hinterher,
hin zu Dir mit mir noch ringend,
will ich schon ganz klar mehr.

Ich will zur Gänze Dich begreifen,
bin auch ganz in Deinem Bann.
Und während des Begreifens reifen
der Wollust Früchte schnell heran.

Nun musst Du werden ganz mein Eigen,
mag es auch ändern unsern Sinn,
wie sehr wird sich am Ende zeigen,
wenn ich von Dir durchdrungen bin.

Schon sind wir zwei in süßem Ringen!
Der Erkenntnis wogend Brandung,
während wir uns tief durchdringen,
trägt Ideen hin zur Landung.

Kindern gleich sind sie am Toben.
Ich schaue zu und muss sie loben.


Erkenntnisse haben meistens vorläufigen Charakter und sind immer individueller Natur . Sie selbst entscheiden, ob Sie Erkenntnisse anderer als Meinung übernehmen oder ob Sie sich Erkenntnisse selbst erarbeiten. Meine Quellenangaben sollen Ihnen bei letzterem eine Hilfestellung geben, Sie sollten aber immer auch weitere Quellen verwenden.

Glauben Sie nicht, auch nicht mir, sondern prüfen Sie und schlussfolgern Sie selbst.

Fußnoten


  1. Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie ; Descartes, René, 1596-1650; gutenberg.org
  2. verstehen , de.wiktionary.org
  3. verstehen , en.wiktionary.org
  4. Proto-Germanic fra- , en.wiktionary.org
  5. begreifen , de.wiktionary.org
  6. German be- , en.wiktionary.org
  7. Proto-Germanisch bi- , en.wiktionary.org]
  8. Proto-West Germanic bigrīpan , en.wiktionary.org
  9. aneignen , en.wiktionary.org
  10. German eignen , en.wiktionary.org
  11. Swedish ägna , en.wiktionary.org
  12. Goethe-Wörterbuch aneignen , woerterbuchnetz.de
  13. Old Norse eigna , en.wiktionary.org
  14. erkennen , de.wiktionary.org

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